„Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ (Thalia in der Gaußstraße)

Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel
Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel

Vier tolle Darsteller bieten in Theresia Walsers Stück „Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel“ auf der kargen Bühne des Hauses Thalia in der Gaußstraße eine gute Stunde lang mit viel Sprachwitz und reichlich Klamauk kurzweilige Unterhaltung – vor einem ernsten Hintergrund. Sandra Flubacher ist Frau Imelda, Gattin von Ferdinand Marcos, Präsident der Philippinen von 1965 bis 1986. Er regierte das Land ab 1972 diktatorisch und wurde schließlich nach einem Volksaufstand aus dem Amt getrieben. Drei Jahre später starb er im US-Exil auf Honolulu. Die reale Imelda Marcos war einst Schönheitskönigin, heiratete mit 26 Jahren Ferdinand Marcos und verprasste als Präsidentengattin vor allem bei Auslandsbesuchen Millionen. Als Schuhfetischistin sammelte sie insgesamt 3000 Schuhpaare, heute sind sie in einem Museum ausgestellt. Außerdem besaß sie über 880 Handtaschen. Victoria Trauttmansdorff ist Frau Margot, Ehefrau von Erich Honecker. Als „Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ regierte Erich Honecker zusammen mit einer Clique kommunistischer Politiker die Deutsche Demokratische Republik und verwandelte das Land in ein riesiges Gefängnis. Niemand durfte ohne Genehmigung hinaus. Honecker persönlich war für den Schießbefehl an der deutsch-deutschen Grenze verantwortlich. Über 600 Menschen starben dort beim Versuch die DDR zu verlassen. Seine Frau Margot war von 1963 bis 1989 Ministerin für Volksbildung. 1990 wurde Honecker im Zuge der „Wende“ entmachtet, ging nach Chile ins Exil und starb dort 1994. Seine Frau Margot lebt noch bis 2016. Patrycia Ziolkowska ist Frau Leila, zweite Ehefrau von Zine el-Abidine Ben Ali, Präsident Tunesiens von 1987 bis 2011. Zusammen mit seiner Frau plünderte Ben-Ali in seiner Amtszeit das Land aus. Nach einem Aufstand musste er Tunesien verlassen und begab sich nach Saudi-Arabien ins Exil. Vor ihrer Heirat war Leila Ben-Ali Friseurin.

In der fiktiven Geschichte des Stückes soll über das Leben dieser drei Frauen ein Film gedreht werden. Aus diesem Grund werden sie zu einer Pressekonferenz geladen. Während die Frauen auf den Pressetermin warten, haben sie Gelegenheit, sich zu unterhalten, oder vielleicht besser: sich voreinander zu produzieren. Während Frau Imelda und Frau Leila sich miteinander unterhalten können, benötigt Frau Margot einen Übersetzter. Florian Anderer ist Gottfried, der Dolmetscher.

Die drei Schauspielerinnen sind so hergerichtet, wie man die Originale kennt.  Frau Imeldas dunkle Haare sind zu einer helmartigen Frisur zusammengesteckt, mit einem großen Dutt am Hinterkopf. Ihr Gesicht ist so maskenhaft wie das der echten Imelda. Sie trägt ein elegantes hellbraunes Kostüm.  Frau Leila ist groß und schlank und trägt einen rosa Hosenanzug. Während sie gewandt und weltmännisch erscheint, haftet Frau Margot etwas Provinzielles an. Sie trägt ein helles sachliches Kostüm und kommt mit einer großen Handtasche. Dort ist Erich drin, was sich aber erst später herausstellen wird. Auch ihre blonde gehärtete Frisur umhüllt den Kopf wie ein Motorradhelm.

Einziges Requisit auf der Bühne vor einer hellen Wand ist eine Sitzbank, die allerdings schräg, nicht waagerecht, steht. Wie eine Schaukel. Eine Seite ist zu tief, die andere zu hoch. Frau Leila wird auf die tiefe Seite gesetzt und hat Schwierigkeiten, ihre langen Beine unterzubringen. Frau Margots Beine auf der anderen Seite baumeln indes in der Luft. Das ist komisch, wie vieles andere auch. Frau Margot klettert auf der hohen Sitzbank herum, arrangiert sich mit der Situation, ist selbstbewusst und im Übrigen patzig

Die Frauen sprechen miteinander und Gottfried übersetzt, erst noch einigermaßen inhaltsgerecht. Doch dann dolmetscht er bald so, wie er es für richtig hält, um die Stimmung zwischen den drei herrschsüchtigen Frauen nicht zu sehr eskalieren zu lassen. Der Verlauf des Gesprächs ist grotesk. Ob Frau Margot einen schusssicheren BH trüge, will Imelda wissen. Sie selber sei schon Opfer eines Messerattentats gewesen. „Zu jedem bedeutenden Leben gehört ein Attentat“, lautet ihre Erkenntnis. „Politik ist kein Beruf, Politik ist ein Zustand“, weiß Frau Margot zu berichten. Sie erzählt von einem Treffen mit Stalin. Frau Imelda hält mit einem Besuch bei Castro dagegen. Und mit einem Gedicht, das Mao für sie geschrieben hat. Und Frau Leila spricht von einem Gedicht, dass sie selber geschrieben hat. Sie erzählen ihre Geschichten selbstgefällig oft parallel, ohne auf die Erzählung der anderen zu hören oder darauf einzugehen. Frau Imelda berichtet, dass sie ihren Mann nach dessen Tod hat einfrieren lassen. Und Frau Margot hat es nicht übers Herz gebracht, ihren Mann im Saarland begraben zu lassen. So plätschert das kuriose Gespräch dahin, von falschen Übersetzungen des Dolmetschers ungewollt gelenkt, und die merkwürdigen Persönlichkeiten, der drei Frauen, die ihre rücksichtslosen Männer nach Kräften unterstützt haben, werden sichtbar: Zynische, gehässige und selbstsüchtige Hexen. Die Männer sind gestorben oder wurden gerichtet. Die Frauen nicht. Am Schluss des Abends fliegt Erich noch in einer Slapstickeinlage durch die Luft.

Sandra Flubacher kann wunderschöne Grimassen schneiden und Viktoria Trauttmannsdorf ist eine kleine, große Komödiantin. Patrycia Ziolkowska hat bei weitem nicht nur, aber auch eine ausdrucksstarke Stimme. Sie ist sehr präsent. Und Florian Anderer muss als einziger Mann auf der Bühne wie drei spielen. Das macht er auch. Die Opfer der drei Frauen im wirklichen Leben hatten nichts zu lachen. Die Zuschauer bei dieser Aufführung sehr viel. Der Titel bezieht sich übrigens auf einen Satz des lybischen Diktators Muammar al-Gaddafi. Oh nein, er war nicht wie wir.

Thalia in der Gaußstraße

Regie: Friederike Harmstorf
Bühne: Sammy Van den Heuvel
Autor: Theresia Walser
Dramaturgie: Anne Rietschel
Kostüme: Sibylle Wallum
Darsteller:
 (Gottfried, Dolmetscher)
Sandra Flubacher (Imelda)
Victoria Trauttmansdorff (Margot)
Patrycia Ziolkowska (Leila)

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