Die Nibelungen, aber mit anderem Text und auch anderer Melodie

Die Nibelungen, aber...
Die Nibelungen, aber...

Die Reihe des Hamburger Schauspielhauses „…, aber mit anderem Text und auch anderer Melodie“ hat sich über die letzten Spielzeiten zu einer absoluten Erfolgsreihe gemausert. Angefangen hat es mit „Effi Briest, aber mit anderem Text und auch anderer Melodie“ auf der kleinen Bühne des Hauses, dem Malersaal. Die Aufführung wurde prämier, zum Berliner Theaterfestival eingeladen und im Fernsehen gezeigt. Es folgte „Anne Karenina, aber mit anderem Text und auch anderer Melodie“, auch im Malersaal. Nun sind die Nibelungen dran und das Stück ist auf der großen Bühne des Hamburger Schauspielhauses angekommen. Und füllt den großen Saal auch bis auf den letzten Platz mit Zuschauern -locker.

Deutsches Schauspielhaus
Das Schauspielhaus

Die Bühne hat gewechselt, alles andere ist gleich geblieben – außer der Geschichte natürlich.

 „… aber mit anderem Text und auch anderer Melodie“ ist eigentlich eine Art Musikrevue, genauer: die Persiflage einer solchen. Vielleicht ist die Serie aber eher eine Operetten-Soap. Immerhin wechseln sich gesprochener und gesungener Text ab. Es gibt allerdings keine Originalkompositionen, stattdessen reichlich Musikzitate.

Die Bühne

Man kann es aber auch von der anderen Seite her betrachten. „… mit anderem Text und auch anderer Melodie“ ist ein Musikabend mit großen Stücken der neueren Musikgeschichte, zusammengehalten von einer Rahmengeschichte.

Die Titelgeschichte wird erzählt, die Schlüsselmomente werden gespielt und dazwischen wird das Geschehen mit den passenden Musikstücken aus der Rock- und Popgeschichte kommentiert. Nicht nur die Musik, auch die schrägen Kostüme und freigeistigen Frisuren der Protagonisten verweisen in die 1970er Jahre.

Spiritus Rector dieser schrägen Operettensatire ist Clemens Sienknecht. Der Musiker und Theaterregisseur ist die musikalische Allzweckwaffe des Schauspielhauses und hat schon bei vielen Inszenierungen sein musikalisches Talent zur Verfügung gestellt. Hier ist er zusammen mit der Regisseurin Barbara Bürk für die Inszenierung selbst verantwortlich und spielt auch mit. Den Spaß lässt er sich nicht entgehen.

Das Personal der Serie ist immer das gleiche. Musikgenie Sienknecht wird musikalisch vor allem von Friedrich Paravici unterstützt, der auf der Bühne zwar immer präsent ist, am Spiel aber nur als Statist teilnimmt. Für das eigentliche Schauspiel sorgen neben Clemens Sienknecht, der bärige Markus John, der skurille Yorck Dippe und der tapsige Michael Wittenborn. Ute Hanning übernahm in den früheren Stücken der Reihe als einzige echte Frau einige weibliche Rollen- die übrigen wurden von den Männern gespielt. Für die Nibelungen bekam Ute Hanning nun Unterstützung von der auch hier wieder sehr spielfreudigen Lina Beckmann. Ute Hanning ist Kriemhilde, Lina Beckmann verkörpert – neben anderen Figuren – die intrigante Walküre Brünhilde.

In der Dramaturgie der Serie ist das eigentliche Thema, hier die Nibelungen-Sage, stets in eine kleine Rahmengeschichte, einen roten Faden, eingefügt, nämlich in das Interieur eines Musiksenders. Zwischendurch kommt es also immer wieder zu kleinen Unterbrechungen im Programm von hier „Walhalla-Radio“, mit den typischen Ansagen aus dem Hörfunk, Nachrichten oder Verkehrsdurchsagen, vor allem aber Werbeunterbrechungen mit geistreich peinlichen Werbeslogans. Ein Running Gag. Das Leitmotiv des Radiosenders wurde für die Nibelungen mit einem Nebenmotiv konterkariert. Denn bisweilen wird die Bühne zum Raumschiff, die Nibelungen zur Besatzung desselben im Kampf zum Beispiel gegen angreifende Sachsen. Zum Glück eilt rechtzeitig Jung-Siegfried herbei. Der kühnste aller Recken und Drachentöter übernimmt das Kommando, reißt die Schutzschilde hoch und wirft den Angriff mit Hilfe von Photonentorpedos und Laserstrahlen zurück. Das Science-Fiction Motiv bietet schöne Ansatzpunkte für weitere Film- und Musikzitate, wenn das Ensemble zum Beispiel, mit Flöten und Trompeten, gemeinsam das Thema der Star Wars-Filme spielt oder einmal ein groteskes Ballett aufführt, das ein wenig an die futuristischen Tänze aus der deutschen 1960er-Jahre-Serie Raumpatrouille Orion erinnert. Und man kann so schön diese weltbekannten Geräusche aus der Star Treck Serie machen, wenn sich zum Beispiel eine Schiebetür öffnet.

Die Schauspieler sind nicht hier nur als solche gefordert, sie müssen singen und sie müssen auch musizieren. Und das können Sie auch alle. Jeder ist in der Lage, mindestens ein Instrument zu spielen. Immer wieder formieren sie sich zu einem kleinen Orchester und intonieren dann eines jener musikalischen Denkmäler aus der Rock- und Popgeschichte.

Die Nibelungensage ist ja eigentlich ein Geschichtswerk, in der Ereignisse aus der germanischen Geschichte, die sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten verteilen, zu einem kompakten Familiendrama mythisch verdichtet wurden. Siegfried ist Arminius. Der Lindwurm ist der römische Heerzug des Varus, 9. nach Christus im „Teutoburger Wald“ vernichtet. Kriemhild und Brünhild (Brunichhild) gab es wirklich, zwei fränkische Königinnen, die sich spinnefeind waren. Hunnen unter der Führung des oströmischen Heerführers Aetius metzelten im 5. Jahrhundert wirklich die Burgunder nieder. Attila heiratete die germanische Prinzessin Ildico, starb aber in der Hochzeitsnacht. In der Nibelungensage werden die kollektiven Erinnerungen eines Volkes zu einem Familiendrama an einem Königshof, ein mittelhochdeutscher Denver-Clan.

In „Die Nibelungen, aber mit anderem Text und auch anderer Melodie“ wird zu Anfang die Szenerie und das Personal vorgestellt. Im Märchenonkel ton kommt die Einführung von einer Schallplatte. (Sprecher: Michael Prelle). Mit dem Plattenspieler kann man schöne Gags machen: Die Nadel springt, die Platte hängt, eine Passage wird übersprungen. Die Aufzählung der Helden scheint nicht enden zu wollen.

Hier die Geschichte: Der Burgunderkönig Gunther möchte gerne die starke und schöne Walküre Brünhilde heiraten, Königin von Island. Diese lässt sich aber nur von jemanden „freien“, der sie im Kampf besiegen kann. Gunther kann das nicht. Hagen von Tronje hat die Idee, dass Siegfried Gunther ja helfen könne. Siegfried besitzt eine Tarnkappe, mit der er unsichtbar wird. So kann er unbemerkt eingreifen. Zur Belohnung soll Siegfried Gunthers Schwester Kriemhild zur Frau bekommen. Die Sache wird durchgezogen. Die Nibelungen fliegen mit ihrem Raumschiff nach Island.

Der Kampf zwischen Gunther und Brünhilde ist einer der Höhepunkte dieser Inszenierung. Mit den dazu passenden Schlaggeräuschen wird der Kampf in Comic-Ästhetik aufgeführt. Das ist Slapstick auf höchstem Niveau und wird vom Publikum mit offenem Szenenapplaus belohnt, manche andere Szene auch.

Brünhilde muss also mit nach Worms und wird Gunthers Frau. Auch sein Recht als Ehemann kann der Burgunderkönig im Schlafzimmer nur mit Hilfe des unsichtbaren Siegfried durchsetzen. Brünhilde ahnt, dass sie nicht dem schwachen Gunther unterlegen war, intrigiert und macht Siegfried vor seiner Kriemhild schlecht. Diese verrät schließlich, wie Gunther mit Siegfrieds Hilfe überhaupt nur zum Erfolg kam. Brünhilde fordert Siegfrieds Tod. Der ist eigentlich unverwundbar, weil er in Drachenfett gebadet hat. Aber zwischen den Schulterblättern gibt es eine Stelle, auf der ein Blatt saß. Dort kann man ihn erwischen. Hagen und Gunther beschließen Siegfrieds Tod. Der scheinbar unbesiegbare stirbt von einer Lanze zwischen den Schulterblättern durchbohrt.

Kriemhild schwört Rache. Sie heiratet den Hunnenkönig Etzel, um mit dessen Hilfe Rache für Siegfrieds Tod zu nehmen. Die Burgunder werden an den Hof von Etzel eingeladen und niedergemetzelt. Kriemhild bietet vorher noch an, auf ihre Rache an den Burgundern zu verzichten, wenn diese Siegfrieds Mörder Hagen von Tronje ausliefern. Doch in ihrer sprichwörtlichen Nibelungentreue lehnen diese das Angebot ab und gehen gemeinsam in den Tod.

Eine blutrünstige Geschichte, im Schauspielhaus nonchalant und voller Witz erzählt. Und mit großer Virtuosität musikalisch kommentiert und begleitet. Besonders die melancholischen Stücke „The Carpet Crawlers“ (Genesis) und „Wish you were here“ (Pink Floyd) zum Ende des Stückes stehen den Originalen in Nichts nach. Toll!

Für die nächste Folge der „… aber mit anderem Text und auch anderer Melodie“-Serie wurde übrigens eine noch größere Geschichte angekündigt – die Bibel.

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