Diener zweier Herren im Wiener Burgtheater

Wiener Burgtheater Diener zweiter Herren
Wiener Burgtheater Diener zweiter Herren

Das Wiener Burgtheater ist etwas ganz Besonderes. Nach der Comédie-Francaise ist es das älteste Sprechtheater Europas, 1748 begründet, und hat seine jetzige Heimat seit 1888 in einem imposanten Gebäude am Universitätsring, gegenüber vom Wiener Rathaus. Grillparzers „Esther“ und Schillers „Wallenstein“ waren 1888 im neuen großen Haus die ersten Stücke. Im Burgtheater wurde Theatergeschichte geschrieben, doch auch die äußere Geschichte hinterließ hier ihre Spuren. Zum Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Haus als Munitionslager missbraucht und brannte nach einem Bombenangriff weitgehend aus. Die Stahlkonstruktion, Teile des Foyers und die von Franz Matsch und Gustav und Ernst Klimt geschaffenen Deckengemälde blieben immerhin erhalten. 1948 begann der Wiederaufbau, 1955 wurde er abgeschlossen.

Pause
Foyer des Burgtheaters

Die Liste berühmter Schauspieler vor und nach den Kriegen ist von beeindruckender Länge. Die Familie Hörbiger begründete eine ganze Schauspiel-Dynastie, mit Paul und Attila Hörbiger, Christiane Hörbiger und derzeit Mavie Hörbiger. Weitere große Namen der Ensemblegeschichte sind in zufälliger Reihenfolge Paula Wessely, Gattin von Attila Hörbiger, Max Ophüls, Josef Meinrad, Theo Lingen, Karl Böhm, Traugott Buhre, O.W. Fischer, Bruno Ganz, Curd Jürgens, Hans Moser, Fritz Muliar, Peter Weck, Will Quadflieg, Erika Pluhar, Leslie Malton und viele mehr. Hinzu kamen unzählige prominente Gastschauspieler. Die bekanntesten Mitglieder des derzeitigen Ensembles sind vielleicht Karl-Maria Brandauer, Joachim Meyerhoff, Martin Wuttke und Peter Simonischek, bei den Damen Caroline Peters und Mavie Hörbiger.

Carlo Goldonis „Diener zweier Herren“ wurde 1746 in Mailand uraufgeführt und ist das bekannteste Bühnenstück des Autors. Goldoni, 1707 in Venedig geboren, war eigentlich studierter Jurist, nahm aber zum Spaß auch an Schauspielaufführungen teil. 1734 musste er wegen einer Liebesangelegenheit Venedig verlassen, zog mit einer Comedia-dell‘Arte-Gruppe mit und versorgte sie mit Sprech- und Gesangstexten. Schließlich wurde er Hausdichter am Opernhaus von Venedig und schrieb zudem Stücke für verschiedene Theatergruppen. Zeitweise arbeitete er dann wieder als Rechtsanwalt in der Toskana, bevor er sich endgültig als Stückeschreiber und Librettist in Venedig etablieren konnte. 1761 wurde der inzwischen europaweit bekannte Autor nach Paris berufen und bleib bis zu seinem Lebensende 1793 dort.

„Diener zweier Herren“ ist eine Komödie in bester Tradition der Comedia-dell‘Arte, zu deren Erneuerern Goldoni gezählt wird. Der Geschäftsmann Pantaleoni de´Bisognosi (Peter Simonischek) beschließt zusammen mit Dottore Lombardi (Johann Adam Oest) die Vermählung seiner Tochter Clarice (Irina Sulaver) mit Lombardis Sohn Silvio (Christoph Radakovits). Eigentlich war Clarice dem Frederigo Rasponi versprochen, doch dieser wurde von Florindo Aretusi im Streit erschossen. Über den Tod des Rasponi wird während der Verlobungsfeier im Gasthof des Brighella (Hans-Dieter Knebel), dem einzigen Schauplatz der Aufführung im Burgtheater, in blumiger Ausschmückung berichtet als Truffaldino in die Feier platzt und das Erscheinen seines Herrn ankündigt, eben jenes Rasponi, von dem man glaubt, er sei erschossen. Rasponi erscheint tatsächlich, der Wirt, der ihn aus früheren Tagen kennt, bezeugt seine Identität. In Wirklichkeit ist es jedoch Beatrice, Rasponis Schwesters (Andrea Wenzel), die als eigener Bruder verkleidet Schulden eintreiben will, die Pantaleoni bei ihrem Bruder hatte. Zugleich sucht sie ihren Geliebten Florindo, der sich auf der Flucht nach Venedig begeben haben soll. Pantaleoni ist nun in Gewissensnot, da er nicht weiß, welches von ihm gegebene Wort zur Vermählung gilt – das gegenüber Rasponi gegebene Eheversprechen oder die Verlobung mit Silvio. Truffaldino (Markus Meyer), ein wahrer Irrwisch von Diener, hat sich schon gleich bei seiner Ankunft in die spröde Dienstmagd Smeraldina (Mavie Hörbiger), ein spätes Mädchen, verguckt und macht ihr fortan schöne Augen. Nachdem auch Florindo (Sebastian Wendelin) auf der Bildfläche erschienen ist und sich im Gasthof mit Hilfe von Alkohol Trost über seine unglückliche Tat und die Trennung von Beatrice spendet, nimmt Truffaldino auch bei ihm eine Stelle als Diener an, in erster Linie, weil er hofft, nun schneller an etwas Essbares zu kommen. Anfangs kann Truffaldino die doppelten Dienstaufträge noch unter einen Hut bringen, doch dann verheddert er sich mehr und mehr in einem Lügennetz. Wegen Truffaldinis Lügen glauben schließlich sowohl Florindo wie Beatrice vom jeweils anderen, dass sie tot seien und sind kreuzunglücklich.Bis zum Finale des Stückes müssen also drei Liebespaare zueinander finden – Florindo und Beatrice, Silvio und Clarice und schließlich auch noch Truffaldino und Smeraldina. Pantaleoni streitet derweil mit dem Latein-gelehrten Winkeladvokaten Dottore Lombardi  über die Rechtmäßigkeit der Verlobung ihrer Kinder und mit Beatrice nach deren Enttarnung als Frau über die Rückzahlung der Schulden, die er bei ihrem Bruder hatte. Dazwischen tobt Truffaldini umher und stiftet Verwirrung. Am Ende wird jedoch alles gut. Die drei Liebespaare bekommen einander und Pantaleoni zahlt. Die Aufführung von Christian Stück am Burgtheater ist purer Klaumauk, mit vielen Slapstick-Einlagen gekonnt serviert und überschreitet nicht nur einmal schwungvoll und mit voller Absicht die Grenze zum Boulevard. Zeitlich angesiedelt ist die Inszenierung wohl irgendwann in den 1930er oder 1940er Jahren. Die italienischen Orte der klassischen Vorlage werden genannt, aber das Geschehen könnte auch im italienischen Mafia-Milieu der USA passiert sein. Goldonis Degen werden hier zu Pistolen. Die Herren tragen zumeist braune Nadelstreifenanzüge. Der Wirt des Gasthauses, Hans-Dieter Knebel als Brighella, scheint mit seinem blauen Streifen-T-Shirt und seiner Kappe geradewegs aus einem alten französischen Film entsprungen zu sein, oder einem Asterix-Heft, das diese Figur persifliert. Mavie Hörbiger als Smeraldine ist gegen ihren wirklichen Typ frisiert und kostümiert, Mit langen glatten schwarzen Haaren im schlichten schwarzen Kleid und halbhohen schmucklosen schwarzen Stiefeln erinnert sie an eine Zofe aus einem Bunuel-Film. Eine aufgeschminkte kantige Nase verleiht ihr etwas Maskenhaftes. Sie ist einer der Stars des Abends und sorgt mit ungelenken Gesten, unpassendem Kopfnicken und markigen Sprüchen für zahlreiche Lacher. Irina Sulavers Clarice, mit langen blonden Haaren und rosa Kleid ist weniger blondes Dummchen als frech emanzipierte junge Frau, die ihrem Vater zwar gehorcht, aber auch ihren Kopf hat und sich wenn nötig auch direkter Sprache bedient: „Ich stopf´mir alle Löcher zu“, erklärt sie ihr Nichteinverständnis als Braut wider Willen. Peter Simonischek, spätestens seit seiner Darstellung des Toni Erdmann im gleichnamigen Film von Maren Ade zum Weltstar aufgestiegen, spielt den Pantaleoni als jovialen Gauner, der das Herz aber auf dem rechten Fleck hat. Simonischek hat die Rolle souverän im Griff, und chargiert gekonnt mit seinen schiefen Zähnen und abgerissenen Fingern. Im Finale isst er ohne mit der Wimper zu zucken einen Pudding, den zuvor schon Markus Meyer im Mund hatte. Ihhh… Schauspieler müssen bisweilen an die Grenzen gehen. Für viel Komik und reichlich Slapstick sorgen vor allem Markus Meyer als Truffaldino und Sebastian Wendelin als jammernder Florindo. Truffaldino ist ein Aufschneider par excellence. Und ein kleiner Gauner auch, aber ein liebenswürdiger. Und Florindo tut einem einfach leid. Wie konnte er nur den Rasponi erschießen? Das muss ein Unfall gewesen sein. Rasponis Schwester Beatrice ist jedenfalls nicht nachtragend. Andrea Wenzel spielt sowohl den männlichen wie den weiblichen Part ihrer Rolle überzeugend.

Das Spiel vollzieht sich vor, hinter und auch zwischen zwei Wänden, die die Innen- und Außenmauern eines Gasthofes darstellen sollen. Die Bühne dreht sich oft und im Laufe des Abends auch immer schneller, beim Finale furioso nahezu unentwegt. Und das Ensemble hält mit seinem temporeichen Spiel stets mit und springt von hinten nach vorne. Am Ende kommen die Dinge in Ordnung und alle haben sich lieb. Das Wiener Publikum eilt beschwingt nach Hause.

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