Der gute Mensch von Sezuan im Ernst Deutsch Theater

Der gute Mensch von Sezuan am Ernst-Deutsch-Theater
Der gute Mensch von Sezuan am Ernst-Deutsch-Theater

Bertholt Brecht wurde nach dem Zweiten Weltkrieg unisono im Osten Deutschlands wie im Westen als vielleicht größter deutscher Dramatiker des 20. Jahrhunderts gefeiert. Geboren wurde Brecht 1898 in Augsburg. Er ging nach Berlin und wurde als Autor deutschsprachiger Stücke bekannt, vor allem mit der Dreigroschenoper. Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verließ er einen Tag nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 das Land und ging ins Exil. Sein Weg führte Brecht über die Tschechoslowakei, Schweden und Finnland schließlich in die USA. Dort wurde er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges durch die antikommunistischen Untersuchungen und Befragungen vertrieben. Brecht versuchte nun als Dramaturg wieder in Europa Fuß zu fassen. Pläne, sich in der Schweiz, in Österreich oder in München als Theaterleiter niederzulassen, zerschlugen sich. Schließlich nahm er ein Angebot aus der DDR an, begründete 1949 zusammen mit seiner Frau Helene Weigel das Berliner Ensemble und wurde 1954 Leiter des Theaters am Schiffbauerdamm – dort, wo einst sein größter Erfolg, die Dreigroschenoper, 1928 ihre Uraufführung hatte. 1956 starb Brecht an einer Herzkrankheit. Mit Brechts Biografie konnte man wohl in beiden Teilen Deutschlands gut leben: Ein aufrechter deutscher Künstler, der für seine Ideale eintrat, sie auf innovative Weise künstlerisch ins Bild setzte und der rechtzeitig ins Exil ging. Die Identifikation im kommunistisch beherrschten Ostteil Deutschlands ist nachvollziehbar. Im Westteil konzentrierte man sich mehr auf seinen Beitrag zur Theatertheorie und die Lehre vom „epischen Theater“ oder „dialektischen Theater“, das mit der Hilfe von Verfremdungseffekten den Zuschauern die Augen öffnet – um die Welt so zu sehen, wie Brecht sie sah. Das Interesse im Westen Deutschlands an Brecht stieß auf wenig Gegenliebe, denn Bertolt Brecht betrachte die BRD als „Sumpf bürgerlicher Barbarei“ und einen „Nährboden für einen neuen Nationalsozialismus“. Seit vielen Jahrzehnten befindet sich Brechts Theaterlehre im Pflichtprogramm des schulischen Auftrags und am besten schien den Kulturpädagogen wohl das Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ geeignet zu sein, die Brecht’sche Theatertheorie zu studieren. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Deutsche Lehrpläne sind zäh. Viele Schüler von einst – und die heutigen wohl erst recht –  haben deshalb zu Schulzeiten eine nachhaltige Brecht-Allergie entwickelt. Wer möchte sich schon von der Bühne herunter mit der Klassenkampf-Weltanschauung der 1920 Jahre auseinandersetzen und sich von den Brecht-Figuren belehren lassen? 

Der gute Mensch von Sezuan am Ernst-Deutsch-Theater
Der gute Mensch von Sezuan

Der gute Mensch von Sezuan spielt in China (Achtung, Verfremdung), deswegen haben alle Figuren chinesische Namen. Den Menschen geht es nicht gut, sie leben in Armut: „Ganz Sezuan ist ein einziger Dreckhaufen!“, heißt es. Drei Götter erscheinen und sind auf der Suche nach einem „guten Menschen“. Als Kandidat wird ihnen die Prostituierte Shen Te empfohlen. Die anderen sind entweder gezwungen, sich mit kleinen Gaunereien über Wasser zu halten oder kommen als Kapitalisten per se nicht in Frage. Shen Te hat tatsächlich ein gutes Herz, gibt den drei Göttern Unterkunft und erhält zum Dank 1000 Silberdollar. Sie verspricht, auch weiterhin ein guter Mensch zu bleiben. Von dem Geld kauft sie sich einen Tabakladen, wird aber übers Ohr gehauen, weil der Laden nicht schuldenfrei ist. Schon bald nistet sich bei ihr eine Großfamilie bei ihr ein. Ein Zimmermann verlangt den ausstehenden Lohn für die Ladeneinrichtung. Die Vermieterin will eine Halbjahresmiete im Voraus, weil Shen Te nicht gut beleumundet ist. Um nicht schon gleich wieder in den finanziellen Ruin zu geraten, erfindet Shen Te ihren Vetter Shui Ta. Sie erscheint als ihr eigener Vetter verkleidet und ordnet die Dinge, ohne dabei das göttliche (kirchliche) Gebot der „Güte“ beachten zu müssen. Nachdem die Dinge geregelt sind, verschwindet Shui Ta wieder. Shen Te trifft nun im Park den Flieger Yang Sun, der sich gerade umbringen will. Sie rettet ihn und verliebt sich. Am nächsten Tag kommt seine Mutter und erzählt, dass ihr Sohn für 500 Silberdollar eine Fliegerstelle erhalten könne. Shen Te gibt ihr die 200 Silberdollar, die sie von einem freundlichen Nachbar-Ehepaar zum Begleichen der Ladenmiete geliehen hatte. Mit ihrer Güte befindet sich Shen Te nun erneut in Schwierigkeiten, denn nun kann sie die Miete für den Laden nicht zahlen. Ein zweites Mal muss sie sich in Shui Ta verkleiden und als ihr Vetter die Dinge in Ordnung bringen. Zurückverwandelt zweifelt Shen Te an ihrer Liebe zu Yan Sun, der egoistisch seine Fliegerkarriere  vorantreiben und Shen Te zum Verkauf des Ladens überreden will. Der reiche Barbier Shu Fu bietet sich nun als finanzkräftige Alternative an.  Schließlich wird aber doch eine Hochzeit zwischen Shen Te und Yang Sun vereinbart. Doch auf der Hochzeitsfeier wartet Yang Sun auf Shui Ta und auf die fehlenden 300 Silberdoller, die Shui Ta ihm versprochen hatte. Da Shen Te da ist, kann Shui Ta nicht kommen. Yang Sun wartet vergeblich. Die Hochzeit findet nicht statt und die Hochzeitsgesellschaft löst sich auf. Shen Te erfährt, dass sie schwanger ist und macht sich Sorgen, wie sie ihr Kind aufziehen soll. Shu Fu bietet einen Blankoscheck an, mit dem sie alle Sorgen los wäre. Zum dritten und letzten Mal verwandelt sich Shen Te in Shui Ta und nimmt als  Vetter die Geschicke in die Hand. Mit dem Blankoscheck bezahlt Shui Ta die Laden-Miete. In Shu Fus Obdachlosenheim richtet er eine Tabakfabrik ein. Alle Bittsteller müssen nun dort arbeiten, auch Yang Sun. Durch Skrupellosigkeit steigt er sogar zum Vorarbeiter auf. Doch Yang Sun vermisst die gütige Shen Te und beschuldigt Shui Ta diese gefangen zu halten. Es kommt zu einem Gerichtsprozess. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit offenbart sich Shen Te schließlich und enthüllt ihr doppeltes Spiel:

„Ich bin es: Shen Te und Shui Ta, ich bin beides. Euer einstiger Befehl gut zu sein und doch zu leben, zerriss mich wie ein Blitz in zwei Hälften.“

Regisseur Wolf-Dietrich Sprenger hat die Geschichte, die Brecht ins ferne China geschickt hat, am Ernst-Deutsch-Theater wieder zurückgeholt. Die Kulisse bildet eine Container-Siedlung, die auf der Drehbühne von Bild zu Bild gedreht, geöffnet oder geschlossen wird- gerade so wie es gebraucht wird. Im Hintergrund sieht man die Skyline einer Großstadt. Es könnte überall sein, es könnte aber auch am Hamburger Hafen sein.

Maren Kraus als Shui Ta und Shen Te

Die unterhaltsame Inszenierung des „guten Menschen von Sezuan“ am Ernst-Deutsch-Theater ist gut geeignet auch hartnäckige Aversionen gegen das Brecht’sche Belehr-Theater zu überwinden. Dafür sorgt vor allem Maren Kraus mit ihrer frischen und schwungvollen Darstellung von Shen Te/ Shui Ta. Die 26-Jährige kommt frisch von der Schauspielschule, hat hier ihre erste große Haupt(doppel)rolle übernommen und füllt diese auf überzeugende Weise mit Leben. Maren Kraus trägt das Stück. Jonas Minthe ist als zerrissener Yang Sun ein  glaubhafter Gegenpart. Jessica Kosmalla beobachtet als Witwe Shin neugierig das Geschehen und kommentiert es sehr giftig. Mit hysterischem Gelächter entlarvt sie die Farce der missglückten Hochzeitsfeier. 18 Darsteller teilen sich die 30 Rollen untereinander auf. Oliver Warsitz ist zweiter Gott, Vater einer achtköpfigen Familie, ein Bonze und – am besten als Barbier Shu Fu.

Bei Brecht wird das Publikum mit einbezogen. Einen Vorhang gibt es in dieser Aufführung nicht. So geschieht die gelegentliche Ansprache an das Publikum einfach Bühnenrand und im Zuschauerraum geht so lange das Licht an.

Einer der größten Kritiker des Dramatikers Bertolt Brecht war vielleicht Marcel Reich-Ranicki, gleichzeitig größter Bewunderer des Lyrikers Bertholt Brecht. Sein Urteil gipfelt in dem Spruch: „Bertolt Brecht war ein begnadeter Lyriker, der auch ein paar Theaterstücke geschrieben hat.“ In der Tat  bilden die Musikelemente in Brechts Stücken gelungene lyrische Kontrapunkte zum bisweilen auch trockenen erzieherischen Handlungsverlauf. Die Musik für „Der gute Mensch von Sezuan“, schrieb Paul Dessau. In der Aufführung am Ernst-Deutsch-Theater kam der musikalisch Teil nicht gut zur Geltung. Dem Privathaus fehlen dafür die Mittel, nicht zuletzt ein Orchester. 

Eine Lösung für die Frage, wie man in einer widrigen Welt die ethischen Forderungen der Götter erfüllen kann, will Brecht in seinem Stück nicht anbieten. Das Dilemma wird am Ende des Stückes in einem durch berühmt gewordenen Zitat offensiv angesprochen:
„Wir stehen selbst enttäuscht und sehen betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Die Zuschauer werden aufgefordert, selber nach Lösungen zu suchen: „Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach. / Sie selber dächten auf der Stelle nach / Auf welche Weis dem guten Menschen man / Zu einem guten Ende helfen kann. / Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss! / Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!“

Blog von Maren Kraus

Videobeitrag beim NDR

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